Angelina

Nach den ersten drei Wochen hier kann ich ganz sicher sagen, dass New York eine tolle, ziemlich krasse Stadt ist, und besonders Manhattan ein sehr spezieller Kosmos, der sich glaube ich vom Rest der USA fast genauso sehr unterscheidet wie von anderen Ländern. Das Klischee, dass in Amerika alles größer ist, entspricht der Wahrheit. Die Strassen, die Häuser, viele Produkte, vor allem Autos und Essenspackungen, die Parks (Central Park!), die Bibliotheken, auch viele Menschen, haben einfach mehr Umfang als zuhause. New York ist selbst im Vergleich zu Berlin viel internationaler und diverser. Ich kannte noch nie so viele Menschen, zu deren alltäglichen Repertoire koreanische, Hong Konger und andere Far East Gerichte gehören. Entsprechende Kochabende in den nächsten Wochen wecken bei mir schon hohe Erwartungen. Asien ist auf dem Unicampus fast so stark vertreten wie Nordamerika, ein paar Deutsche laufen hier auch rum, aber insgesamt sind es nicht sehr viele Leute aus Europa, zumindest an der Uni, und Studis aus Afrika sind fast keine da.

Meine Anfangsphase in New York ist durch lieben europäischen Besuch sogar noch schöner geworden, Marion, Konrad und Alice haben aus Kanada einen Abstecher hierher gemacht, eine sehr gute Gelegenheit für intensives Sightseeing. Der Blick vom Empire State Building ist krass und wunderschön, und New York hat unter vielen anderen Vorzügen einen Subway Stop, der nur wenige Gehminuten vom Atlantik entfernt ist, wo wir am Labor Day hingefahren sind. Das Museum of Modern Art, hier liebevoll MoMA genannt, gehört zu den anderen großen Attraktionen. Dann hat die Uni angefangen, und ich hab den Besuch nur noch abends getroffen, zum Beispiel für ein Konzert im Greenwich Village, und einen Spaziergang über die Brooklyn Bridge mit Blick auf die nächtliche New Yorker skyline.

Wir habe aber auch ernsterer Unternehmungen zusammen gemacht, zum Beispiel ein Spazierung zum ehemaligen Standort des World Trade Centers, wo zwei neue Hochhäuser fast fertig sind. Gerade über den – fahnenreich markierten – Jahrestag vom 11. September ist der Druck der traumatischen Erfahrung in der ganzen Stadt immer noch ziemlich deutlich zu spüren. Nachts wurden die letzten Tage Lichtsäule für die beiden Türme von einem Hubschrauber auf ground zero projiziert, nur ein Beispiel für zum Teil sehr beklemmende Erinnerungskultur.

Columbia ist unglaublich, und nimmt ziemlich viel Zeit ein. In sechs Wochen warten schon mid term exams, und bevor es im Dezember in die Winterferien geht, müssen noch final papers und final exams geschrieben werden, außerdem gibt es wöchentliche reading responses in einem Kurs zu posten und problem sets in einem anderen zu lösen. Und so was wie Teilnahmescheine gibt es hier nicht, Prüfungen und Noten gehören zu jedem Kurs. Die Ansprüche sind hier auf jeden Fall ziemlich anders als in Berlin, und ziemlich hoch, aber die Kurse sind den Aufwand wert, soweit ich das bisher beurteilen kann. Ich habe zwei Politikkurse, einen zu Japanese Politics, der in ein spannendes Feld einführt, mit dem ich mich bisher gar nicht beschäftigt hab (und falls es trotzdem langweilig wird, erzählt Professor Curtis von einer seiner Begegnungen mit Henry Kissinger oder den zahlreichen japanischen Premierministern der letzten 20 Jahre) und einen anderen zur Logic of Collective Choice. Wir benutzen da mathematische Zeichen und logische Überlegungen, um Gruppenentscheidungen zu untersuchen. Das macht ziemlich viel Spass, und ist eine angenehme Abwechslung zum Riesenlesepensum in allen anderen Kursen. Dann habe ich einen Kurs zum französischen Philosophen (was viel zu wenig aussagt, aber ich will jetzt auch nicht bis Freud und Psychoanalyse und Cortazar und Miller und und und ausholen) Jacques Lacan. Falls mir vor diesem Kurs noch nicht klar war, dass diese Uni krass ist, weiß ich es jetzt: als ich Maire Janussen, die Dozentin, gegoogelt habe, war das erste Ergebnis ein Artikel im Guardian über Edward Said, den postkolonialen Theoretiker, in dem meine Dozentin erwähnt wurde, weil sie in den 60er Jahren mit ihm verheiratet war. Und das ist nur ein kleines, triviales persönliches Detail, das in der Veröffentlichungs- und Arbeitsgeschichte dieser Professorin fast untergeht. Die anderen beiden Kurse sind über den amerikanischen Romanautor und Stilperfektionisten Henry James und über America in the World, „maximist“ Romane mit weltumspannenden Anspruch, beide mit ungeheurem Lesepensum, und unglaublich interessant. Der America in the World Kurs ist ziemlich klein, nur ungefähr sechs Leute, und der einzige, in dem eine ein bisschen berlinhafte Atmosphäre herrscht. Ich kann es noch nicht genau in Worte fassen, was ich in der Uni als so anders empfinde, aber in diesem Kurs ist mir deutlicher als vorher bewusst geworden, dass ich die Leute und die Rede- und Verhaltensweisen in der Uni im Allgemeinen ziemlich ungewohnt finde. Aber es gibt natürlich ein paar Leute, die ich schon besser kennen gelernt habe, und die dann zwar vielleicht auch fremder sind, aber trotzdem sehr liebenswert.

Insgesamt fühle ich mich auf jeden Fall ziemlich wohl hier, was auch daran liegt, dass ich im wunderschönen West Harlem wohne (ein Teil von Manhattan etwas nördlich vom Central Park) und so immer wieder eine Pause aus meiner Uni- Seifenblase bekomme. Hier wird mehr Spanisch als Englisch gesprochen, weil die Gegend so Puerto Ricanisch und Domenicanisch geprägt ist, was dazu führt, dass wir in unsere Nudelsoße schon angebratenen Kaktus statt der berlintypischen Zucchini oder Aubergine hatten, was ich sehr lecker und empfehlenswert finde (Marion sieht das anders). Fotos von Alldem folgen!

Eine Antwort zu Angelina

  1. Paul schreibt:

    Schön, dass es dir gut geht, und dass New York dir so gut gefällt!

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